Das Abschleppen von Falschparkern (I) – Grundlagen
Eines der relevantesten Probleme im Polizeirecht ist die Frage, ob die Behörden einen Falschparker abschleppen dürfen. Die Relevanz ergibt sich in erster Linie daraus, dass es sich um ein Massenvergehen handelt, das aber im Fall des Abschleppens zu einem extremen Ärgernis mit hohem Kostenfaktor führt. In diesem Text wollen wir darauf eingehen, unter welchen Voraussetzungen und auf welcher Grundlage dies möglich ist. Einer speziellen Ausgestaltung der Landeshauptstadt unter dem Stichwort „Münchner Modell“ widmen wir uns dann im nächsten Artikel.
I. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Handeln der Polizei im eingeschränkt-institutionellen Sinne (Art. 1 PAG)
Zunächst muss das Abschleppen ein Handeln der Polizei im sog. eingeschränkt-institutionellen Sinne sein. Was sich sehr technisch anhört, meint im Wesentlichen nur eines: „Polizei“ im Sinne des Polizeigesetzes ist genau das, was man als normaler Bürger darunter versteht – die Beamten im Vollzugsdienst, also die normalerweise uniformierten Polizisten „da draußen“.
2. Örtliche Zuständigkeit (Art. 3 Abs. 1 POG)
Örtlich zuständig ist jeder Polizeibeamte im Freistaat Bayern – dies ist also völlig unproblematisch.
II. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Aufgabeneröffnung (Art. 2, 3 PAG)
Die Polizei wehrt hier eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, also für eine Norm der Rechtsordnung, ab (Art. 2 Abs. 1). Die Polizei ist zuständig, da keine andere Behörde rechtzeitig handeln kann (Art. 3)
2. Befugnis (Art. 11 bis 36)
a) zum Verbringen des Autos in eine amtliche Verwahrstelle (Art. 25 Nr. 1)
Das Abschleppen zur Verwahrstelle stellt eine Sicherstellung dar. Diese ist gemäß Art. 25 Nr. 1 PAG zulässig, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Gefahr ist hier wiederum der Verstoß gegen die Verkehrsregeln.
Diese Sicherstellung kann gemäß Art. 9 Abs. 1 PAG sofort ausgeführt werden, da der Fahrer des Pkws nicht anwesend ist und damit nicht in Anspruch genommen werden kann. In diesem Fall handelt die Polizei an seiner Stelle.
b) zum bloßen Versetzen des Autos auf einen legalen Parkplatz (Art. 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2)
Solange das Auto unerlaubt steht, handelt es sich um eine fortgesetzte Ordnungswidrigkeit nach der StVO. Diese wird dadurch beendet, dass das Auto entfernt wird (Nr. 1). Durch das ursprüngliche Fahren und Parken wurde zudem eine Ordnungswidrigkeit begangen, deren Folgen nun beseitigt werden sollen (Nr. 2). Die Polizei würde also eigentlich zunächst anordnen, das Auto wegzufahren.
Auch dies kann gemäß Art. 9 Abs. 1 unmittelbar ausgeführt werden.
c) für die Kostenerhebung (Art. 9 Abs. 2 Satz 2, Art. 28 Abs. 3 Satz 4)
Sowohl bei der unmittelbaren Ausführung als auch bei der Sicherstellung können die Kosten vom Verpflichteten verlangt werden. Zu den Kosten gehören auch die „anderen Personen zustehenden Beträge“ (Art. 10 Abs. 1 Nr. 5 Kostengesetz). Voraussetzung ist aber, dass diese Kosten nicht nur aufgrund einer falschen Behandlung der Angelegenheit durch die Polizei entstanden sind (Art. 16 Abs. 5 KG). Daher muss also auf jeden Fall geprüft werden, ob die Primärmaßnahme selbst rechtmäßig war.
3. Maßnahmerichtung (Art. 7 ff. PAG)
Betroffener der Anordnung kann zum einen der Fahrer des Autos sein, da dieser durch seine Handlung die Gefahr verursacht hat (Art. 7 Abs. 1 PAG). Daneben kann aber auch der – sehr viel leichter zu ermittelnde – Halter gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 herangezogen werden. Dies ist insbesondere bei der Kostenerhebung relevant: Der Adressat ist hier der, der zahlen muss.
4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG)
Die Maßnahme muss aber nicht nur tatbestandsmäßig legal, sondern auch verhältnismäßig sein. Insbesondere dürfen verfolgter Zweck und verursachte Folgen nicht außer Verhältnis zueinander stehen (Art. 4 Abs. 2 PAG).
Dabei gilt:
- Ein bloßes verkehrswidriges Parken rechtfertigt regelmäßig kein Abschleppen.
- Es muss vielmehr eine konkrete Gefahr für den Straßenverkehr vorliegen, indem bspw. ein Behindertenparkplatz, ein Taxistand, eine Feuerwehrzufahrt oder ein ähnlicher besonderer Verkehrsraum zugeparkt wird, der jeden Moment gebraucht werden könnte. Dass es z.B. weitere Behindertenparkplätze unmittelbar daneben gäbe, ist dagegen nicht schädlich. Denn diese Plätze erfüllen ihre Funktion nur, wenn sie permanent von Unbefugten freigehalten werden; es ist nicht zumutbar, den Abschleppvorgang erst anlaufen zu lassen, wenn schon ein Berechtigter vor Ort ist und den belegten Platz in Anspruch nehmen will.
- Das Versetzen auf einen anderen freien Parkplatz in der Nähe ist regelmäßig das mildere Mittel gegenüber der Inverwahrungnahme.
5. Ermessen (Art. 5 PAG)
Das Ermessen bezieht sich auf die Auswahl verschiedener verhältnismäßiger Möglichkeiten. Das Entschließungsermessen (Lässt man nun abschleppen oder nicht?) ist in aller Regel aus den genannten Gründen zulässig ausgeübt. Das Auswahlermessen (Nur versetzen oder ganz abschleppen?) ist meist auf eine der beiden Möglichkeiten verengt, sodass sich die Frage einer Ermessensausübung nicht stellt.
Das Abschleppen von Falschparkern (II) – Das Münchner Modell
Das Münchner Modell ist eine Abwandlung des polizeilichen Abschleppens von Falschparkern. Dabei wird der Verkehrsverstoß zunächst (zuständigerweise) von einem Mitarbeiter der kommunalen Verkehrsüberwachung („Politesse“) festgestellt. In besonders sensiblen Bereichen wie Taxiständen oder in der Nähe von Veranstaltungsräumen sind diese aber auch ermächtigt, das Abschleppen in die Wege zu leiten.
Dies funktioniert in der Form, dass der Verkehrsüberwacher telefonische Rücksprache mit dem eigentlich zuständigen Polizeibeamten hält und dieser dann aufgrund seiner eigenen Erfahrung und Ortskenntnis ggf. das Abschleppen anordnet. Für den Vollzug ist wiederum die kommunale Verkehrsüberwachung zuständig, die Politesse beauftragt also einen Abschleppunternehmer.
Diese Vorgehensweise ist nicht unumstritten, daher lohnt es sich, das Prüfungsschema einer „normalen“ Abschleppanordnung für diesen Fall näher anzusehen:
I. Formelle Rechtmäßigkeit
1. Handeln der Polizei im eingeschränkt-institutionellen Sinne (Art. 1 PAG)
Auch, wenn der Polizist nur im Büro sitzt, ist es doch er, der handelt. Sowohl die „Politesse“ als auch der Abschleppunternehmer sind lediglich Gehilfen, die für die Tatsachenermittlung bzw. die Ausführung zuständig sind. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 BayPAG sieht die Einschaltung von „Beauftragten“ ausdrücklich vor.
2. Örtliche Zuständigkeit (Art. 3 Abs. 1 POG)
Keine Änderungen.
II. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Aufgabeneröffnung (Art. 2, 3 PAG)
Keine Änderungen.
2. Befugnis (Art. 11 bis 36)
Die Befugnisnormen des Polizeiaufgabengesetzes knüpfen an die Polizeieigenschaft an, kommunale Verkehrsüberwachungsbeamte können sie also grundsätzlich nicht in Anspruch nehmen. Hier wird aber – siehe oben – der Polizist selbst tätig.
3. Maßnahmerichtung (Art. 7 ff. PAG)
Keine Änderungen.
4. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 4 PAG)
Keine Änderungen.
5. Ermessen (Art. 5 PAG)
Die Ermessensausübung liegt natürlich ebenfalls bei der Polizei. Es ist aber tatsächlich auch der Polizist, der die letzte Entscheidung trifft. Er selbst erwägt, ob und wie er handelt.
Zu einer korrekten Ermessensentscheidung gehört auch eine vollständige Abwägung, die keine relevanten Tatsachen ignorieren darf – ansonsten liegt ein Abwägungsdefizit vor, wodurch die Entscheidung rechtswidrig wird. Insofern könnte man auch meinen, dass eine persönliche Inaugenscheinnahme notwendig ist. Allerdings spricht nichts dagegen, diese persönliche Wahrnehmung vor Ort durch andere Ermittlungsmaßnahmen zu ersetzen. Diese müssen aber natürlich ebenso zuverlässig und geeignet sein. Der Beamte vor Ort muss also die Situation so genau wie möglich beschreiben, insbesondere, was naheliegende freie Parkplätze angeht. Danach muss der Polizist anhand seiner Ortskenntnis, Plänen und Dienstpraxis eine eigene Entscheidung treffen.